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"Du bist ein Gott, der mich sieht!"

1.1.2023

Darum ist er in seinem Sohn Jesus Christus Mensch geworden: um uns zu zeigen, wie nahe er uns ist und uns liebevoll anschaut – wie auf dem Altarbild der Attendorner Erlöserkirche. (Foto: Karl-Herrmann Ernst)
Darum ist er in seinem Sohn Jesus Christus Mensch geworden: um uns zu zeigen, wie nahe er uns ist und uns liebevoll anschaut – wie auf dem Altarbild der Attendorner Erlöserkirche. (Foto: Karl-Herrmann Ernst)

Dieses stärkende, trostvolle Bekenntnis zu Gott will uns durch das Jahr 2023 leiten. Die Vertrauensaussage aus dem 1. Buch Mose ist als Jahreslosung für das neue Jahr ausgewählt worden. Ein Vers, der uns wirklich Kraft und Mut geben kann, der uns auf den weist, auf den wir uns wirklich verlassen können – auf Gott.

 

Wenn wir Menschen etwas nicht wahrhaben wollen, verschließen wir gerne die Augen – vor dem Bettler in der Fußgängerzone, der uns das so ungerechte Wohlstandsgefälle in unserer Gesellschaft aufzeigt. Vor Krankheit und Tod, wollen wir uns doch mit der Bedrängtheit und Endlichkeit unseres Lebens nicht befassen. Vor den Zuständen in der Welt, die uns vor Augen führen, wie sehr unser Wohlstand, unser Lebensstil auf Kosten anderer gewonnen ist.

 

Bei Gott ist das – Gott sei Dank – anders: Er schaut hin, sieht uns an, jede und jeden einzelnen von uns. Er blickt auf uns mit unseren Stärken und Fähigkeiten, aber auch mit all unseren Schwächen und Ängsten. Er weiß um unsere Sorgen und Nöte angesichts von Kriegen und Pandemie, von Umweltkrisen und allen persönlichen Herausforderungen. Er sieht uns! Nicht mit dem Blick eines strafenden Richters, der seinen Blick auf unser Versagen richtet, sondern voller Liebe: Darum ist er in seinem Sohn Jesus Christus Mensch geworden: um uns zu zeigen, wie nahe er uns ist. Wie sehr er uns liebt und eben auch liebevoll anschaut – die Hände zum Segen erhoben, so wie der auferstandene Christus auch auf dem Altarfenster der Attendorner Erlöserkirche dargestellt ist.  

 

„Du bist ein Gott, der mich sieht.“ – So bekennt es, gleich am Anfang der Bibel, zuerst eine Frau: Hagar, deren Name übersetzt „die Fremde“ bedeutet. Die ägyptische Magd Abrahams und Saras, die in ihrem Leben doch scheinbar gar nicht auf der Seite der von Gott Gesehenen und Gesegneten steht: Weil ihre Herrin Sara keine Kinder bekommen kann, soll sie den beiden ein Kind gebären. Sie wird auch von Abraham schwanger und bringt ihren Sohn Ismael zur Welt. Diese Form von Leihmutterschaft klingt für uns heute mehr als befremdlich und widerspricht unseren ethischen Vorstellungen massiv. Doch in der Welt des Alten Orients war das aber eine anerkannte Möglichkeit, das Fortbestehen der Sippe zu gewährleisten. Der so gezeugte Sohn konnte die Versorgung im Alter gewährleisten und er konnte auch in die Erbfolge eintreten, so dass es wirklich weiterging, auch über den Tod hinaus.

 

Für Hagar ging es allerdings nicht gut weiter: Nicht nur, dass sie für eine andere Frau ein Kind gebären musste. Als Sara schließlich gegen alle menschliche Erwartung und Erfahrung doch noch selber Mutter wurde – von Isaak, dem dann über alles geliebten Sohn, der die Geschichte des Volkes Israel fortsetzen sollte, gerieten Hagar und ihr Kind Ismael völlig in Ungnade. Sie wurden fortgejagt in die Wüste, ausgerüstet nur mit etwas Brot und ein wenig Wasser.

 

Dennoch bekennt Hagar: „Du bist ein Gott, der mich sieht.“ Durch seinen Engel begegnet er ihr und sieht sie an. Zweimal erscheint ihr so in ihrem Leid Gott – zunächst als sie während ihrer Schwangerschaft die Verbitterung und den Zorn Saras nicht aushalten kann und flieht und der Engel sie dann neu ermutigt und zurückschickt. Und dann wiederum, als sie in der Wüste gejagt Ismael zum Sterben ablegt, hat sie doch kein Brot, kein Wasser und vor allem keine Hoffnung mehr. Da verheißt ihr der Engel: Fürchte dich nicht! Ich will Ismael zu einem großen Volk machen.  

 

Hagars Leben verläuft alles andere als glatt, scheint nach unseren Maßstäben so gar nicht unter dem Segen Gottes zu stehen und führt sie doch zu dieser Vertrauensaussage: Gott sieht mich, lässt mich nicht im Stich. – Gott sei Dank!  

 

„Du bist ein Gott, der mich sieht.“ So können es auch viele bezeugen, denen Jesus begegnet ist: Die Fünftausend, die gekommen sind, um die Worte der Erlösung zu hören, und die nun hungernd in der Wüste sind und mit zwei Fischen und fünf Broten doch nicht alle versorgt werden können (Mt 14). Der Zöllner Zachäus, der sich in einem Maulbeerbaum verbirgt, um nur von ferne zuzusehen, und der doch von Jesus gesehen und angenommen wird. In seinem Haus kehrt der Sohn Gottes ein und wendet sein Leben, so dass Zachäus umkehrt und neu beginnt (Lk 19). Der blinde Bartimäus, der trotz des Protests aller Umstehenden nach Jesus schreit und gehört und gesehen wird. Jesus ruft ihn zu sich, öffnet ihm die Augen und Bartimäus folgt ihm fortan (Mk 10). Gott sieht genau hin, nimmt auch die einzelnen in ihren Sorgen und Nöten wahr und hilft. Das zeigt er aller Welt in seinem Sohn Jesus Christus.

 

„Du bist ein Gott, der mich sieht.“ Dieses Bekenntnis kann auch für uns eine Einladung sein: dass wir unter dieser Perspektive auf unser Leben schauen. In dieser Gewissheit, dass wir einen Gott haben, der uns zur Seite steht. Dazu lädt uns die Jahreslosung ein. Wir können voller Vertrauen in das Neue Jahr gehen, weil wir doch von Gott gesehen sind, ihm nicht egal sind. Er hat uns verheißen, für uns da zu sein. Wir müssen auch angesichts all der Herausforderungen und Krisen nicht Mut und Hoffnung verlieren, weil doch Gott selber für uns einsteht, uns beisteht. Wir können die nötigen Schritte zum Leben tun, weil doch Gott selber diesen Weg durch das Leben in Jesus Christus auch gegangen ist und uns nun seinen Heiligen Geist verheißen hat, der mit uns geht.

 

Wir sind von Gott Gesehene – und darum können wir auch mit seinem Blick schauen: auf uns und unser Leben, aber auch auf unsere Mitmenschen, auf unsere Welt. Wir können in seinem Namen dazu beitragen, dass Menschen gesehen werden und nicht im Dunkeln von Not und Armut sitzen bleiben müssen. Wir können dazu beitragen, dass die Welt als Gottes gute Schöpfung gesehen wird, wahrgenommen als das großartige Geschenk Gottes, das uns anvertraut ist, das wir schützen und bewahren können. Wir können dazu beitragen, dass Gottes Hoffnungszeichen gesehen, Gottes Hoffnungsbotschaft gehört wird. Seine frohe Botschaft, die uns und aller Welt Gutes will, können wir weitersagen und weitertragen: Du bist ein Gott, der uns sieht – und all unsere Mitmenschen, unsere ganze Welt noch dazu! Gott sei Dank!

© EKKLP

Mit allen guten Wünschen für ein gesegnetes Neues Jahr

 

Ihr

 

Christof Grote, Superintendent des Ev. Kirchenkreises Lüdenscheid-Plettenberg

 

 

 

 

 

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