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Superintendent Dr. Christof Grote: Stellungnahme zur Veröffentlichung der ForuM-Studie

26.1.2024

Dr. Christof Grote, Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Lüdenscheid-Plettenberg, nimmt Stellung zur Veröffentlichung der ForuM-Studie – vor allem mit dem Blick auf den eigenen Kirchenkreis (Foto: Büdenbender)
Dr. Christof Grote, Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Lüdenscheid-Plettenberg, nimmt Stellung zur Veröffentlichung der ForuM-Studie – vor allem mit dem Blick auf den eigenen Kirchenkreis (Foto: Büdenbender)

Ev. Kirchenkreis Lüdenscheid-Plettenberg: Stellungnahme von Superintendent Dr. Christof Grote zur Veröffentlichung der ForuM-Studie zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt und anderer Missbrauchsformen

 

Gestern Mittag ist in einer Pressekonferenz in Hannover die ForuM-Studie öffentlich vorgestellt worden, eine Studie des Verbunds „ForuM – Forschung zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und anderen Missbrauchsformen in der Evangelischen Kirche und Diakonie in Deutschland". Diese von der EKD in Auftrag gegebene umfangreiche Studie, die von der EKD und den einzelnen evangelischen Landeskirchen finanziert worden ist, ist eine unabhängige Studie, die 871 Seiten umfasst. Der Inhalt ist vor der gestrigen Veröffentlichung nicht bekannt gemacht worden, auch nicht den kirchenleitenden Personen, die den Auftrag zu dieser Studie erteilt haben.

 

Dass wir darum heute noch nichts sagen können zu allen Einzelheiten und Details dieser Studie, werden Sie sicherlich nachvollziehen können. Ebenso kann es hier in Lüdenscheid schwerpunktmäßig auch nur um das gehen, was unseren Kirchenkreis Lüdenscheid-Plettenberg direkt betrifft. Für Fragen zum Design der Studie, zur Situation in der Ev. Kirche in Deutschland insgesamt, in der Ev. Kirche von Westfalen und auch zu Missbrauchs­fällen und –vorwürfen außerhalb unseres Kirchenkreises stehen überall kompetente Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner zur Verfügung, an die Sie sich wenden können. Bei Bedarf vermitteln wir auch gerne einen entsprechenden Kontakt.

 

Was ich aber doch grundsätzlich sagen kann und sagen möchte: Ich bin zutiefst erschüttert, zutiefst betroffen und auch zutiefst beschämt über die vielen Fälle sexualisierter Gewalt und weiteren Missbrauchs in der evangelischen Kirche.

 

2.225 betroffene Personen benennt die Studie EKD-weit, 1.259 Personen sind beschul­digt. In der Ev. Kirche von Westfalen sind 251 betroffene Personen zu finden, 110 Per­sonen sind beschuldigt worden, es ist zu 18 Disziplinarverfahren gekommen. Dabei ist allen Beteiligten klar, dass hinter diesen Zahlen eine große, kaum abzuschät­zende Dunkelziffer steht von nicht gemeldeten oder nicht dokumentierten Fällen.

 

Und vor allem: Es sind ja nicht einfach Zahlen, nur Zahlen, sondern es sind Men­schen, in deren Leben durch diese Übergriffe in massivster Weise eingegriffen worden ist, die an dem traumatisch Erlebten oftmals bis heute schwer zu tragen haben. Darum ist es auch gut, dass in der Studie viele betroffene Menschen zu Wort gekommen sind, so wie wir als Kirche überhaupt aus dieser Perspektive heraus hören, helfen und handeln sollten, aus der Betroffenenperspektive.

 

Die Studie zeigt eine für evangelische Kirche bittere doppelte Wahrheit auf: Es handelt sich nicht nur um schlimme Einzelfälle, sondern um ein an vielen Stellen ganz grund­sätzliches Versagen. Hier sind wir als evangelische Kirche insgesamt betroffen.

 

Und – das zweite – in der Institution evangelische Kirche gibt es strukturelle Schwach­punkte, die es potentiellen Täterinnen und Tätern leicht – zu leicht – machen. Das müs­sen wir ändern. Das wollen wir ändern. Ein Ziel der ForuM-Studie ist es darum von Anfang an auch gewesen, genau solche Angriffspunkte und institutionellen Schwachstellen zu markieren, um hier dann auch Abhilfe schaffen zu können.

 

Bei allen betroffenen Personen kann ich im Namen des Ev. Kirchenkreises Lüden­scheid-Plettenberg nur um Entschuldigung bitten: Welches Leid Menschen hier er­fahren haben – in kirchlichen Räumen, die doch eigentlich sichere Orte sein sollen, in kirchlichen Gruppen und Kreisen, in denen doch eigentlich die Botschaft der Men­schen­liebe Gottes weitergesagt, weitergelebt werden soll, im Kontakt mit Pfarrper­so­nen und kirchlichen Mitarbeitenden, die doch eigentlich mit ihrer Person für die Würde eintreten sollen, die Gott allen Menschen geschenkt hat – es lässt sich kaum er­messen, geschweige denn ungeschehen oder wiedergutmachen.

 

Durch die entsetzlichen Vorfälle sexualisierter Gewalt in einer Lüdenscheider Kirchen­gemeinde, in der Kirchengemeinde Brügge-Lösenbach, die im Sommer 2020 bekannt geworden sind – der mutmaßliche Täter, ein ehrenamtlicher Leiter einer Jugend­grup­pe, hat über mehrere Jahrzehnte hinweg sexualisierte Gewalt an schutz­bedürftigen Jugendlichen ausgeübt – steht unser Kirchenkreis hier sicherlich in besonderer Weise im Fokus. – Sie kennen vermutlich alle den Fall und haben auch darüber berichtet. Wir haben als Kirche hier versucht, möglichst umfassend zu informieren, was allerdings nicht immer ganz einfach ist, geht es doch immer auch um sehr sensible persönliche Daten betroffener Personen, des mutmaßlichen Täters und auch weiterer Personen im Umfeld des Geschehens.

 

Im März wird zu diesen Vorfällen auch noch eine geson­derte Studie erscheinen, die hier noch einmal eine vertiefende Betrachtung möglich macht.

 

Ich möchte Sie heute im Kontext der Veröffentlichung der ForuM-Studie informieren über die konkreten Schritte, die wir in unserem Kirchenkreis in der Zwischenzeit ge­macht haben, um dafür Sorge zu tragen, dass unsere kirchlichen Räume möglichst sichere Räume sind, in denen Menschen sich geschützt wohlfühlen können bzw. in die Eltern ihre Kinder auch unbesorgt gehen lassen können.

 

Zum 01.03.2021 ist in der Ev. Kirche von Westfalen das Kirchengesetz zum Schutz vor sexualisierter Gewalt in Kraft getreten, am 01.04.2021 sind dazu weitere Aus­führungsbestimmungen erlassen worden.

 

Das haben wir im Kirchenkreis sehr schnell aufgenommen und uns bei unserer Kreis­synode am 26.06.2021 intensiv mit dem Thema sexualisierte Gewalt befasst, wobei hier durch die bekannt gewordenen Übergriffe in Lüdenscheid insgesamt eine hohe Sensibilität für diesen Bereich vorherrscht.

 

Konkret haben wir die Vorgaben des Kirchengesetzes umgesetzt mit der Verpflichtung für alle Mitarbeitenden, erweiterte Führungszeugnisse vorzulegen.

 

Zum 01.07.2021 haben wir im Kirchenkreis – mit Jutta Tripp, die hier neben mir sitzt – eine Präventionskraft (mit einem Stellenumfang von 19,5 Stunden / Woche) angestellt, die den gesamten Bereich der Prävention koordiniert und die insbesondere das kreis­kirchliche Schutzkonzept mit einem Fachteam erarbeitet hat und nun als Ansprech­part­nerin für die Gemeinden bei der Erstellung der Schutzkonzepte dort zur Verfügung steht.

 

Ebenfalls zum 01.07.2021 haben wir zwei Multiplikatorinnen eingestellt (mit einem Stellenanteil von jeweils 9,75 Stunden / Woche), die nach dem EKD-Konzept „hin­schauen – helfen – handeln“ die – haupt-, neben- und ehrenamtlichen – Mitarbei­ten­den auf allen Ebenen schulen und für das Thema sensibilisieren, jeweils auf die unterschiedlichen Zielgruppen angepasst: Im Bereich der Kindertagesstätten sind andere Erfordernisse als z.B. für ein Presbyterium, in der Jugendarbeit andere als in den Beratungsstellen im Diakonischen Werk.

 

Insgesamt hat der Kirchenkreis sieben von der EKvW ausgebildete Multiplikator*innen für die Präventionsschulungen. Alle beim Kirchenkreis tätigen Angestellten in der Prä­ventionsarbeit sind für die Mitarbeitenden des Kirchenkreises inklusive des Diako­ni­schen Werkes, aller Kirchengemeinden, ev. Kindertageseinrichtungen, Verbände und Verbünde zuständig.

 

Die Schulungen werden in Tandem-Teams durchgeführt, wobei wir vor 2022 zwei Schulungen im Jugendkonvent und bei den Mitarbeitenden der Familienferienstätte „Haus Alter Leuchtturm“ auf Borkum durchgeführt haben. 2022 waren dann 614 Teilnehmende in 32 Schulungen, 2023 waren 690 Teilnehmende in 44 Schulungen. Um das alles gut leisten zu können, ist im Kirchenkreis eine Verwaltungskraft speziell für die Koordination der Schulungen beschäftigt.

 

Gerade entwickeln wir ergänzend zu den bisherigen Schulungen Standards für ein gemeinsames Schulungskonzept für Mitarbeitende, die gleichzeitig in gemeindlicher und verbandlicher Arbeit mit Kindern und Jugendlichen engagiert sind.

 

Bei der Kreissynode am 15.11.2023 ist das kreiskirchliche Rahmenschutzkonzept verabschiedet worden; die Kirchengemeinden und anderen Einrichtungen sind auf dem Weg zur Erarbeitung der jeweils eigenen Schutzkonzepte.

 

Im Jahr 2023 hat der Kirchenkreis für diesen Bereich einen Betrag von 140.000 € ausgegeben; das werden wir in diesem Jahr und den Folgejahren so auch weiter­führen, zumal es im Frühjahr auch zu vielen Wechseln in den Presbyterien kommen wird und der Schulungsbedarf darum weiterbesteht.

 

Ulf Schlüter, der theologische Vizepräsident unserer Landeskirche, hat gestern die ForuM-Studie „schonungslos – und deshalb hilfreich“ genannt. Genauso sehen, genauso erleben wir das auch hier im Ev. Kirchenkreis Lüdenscheid-Plettenberg: Wir dürfen hier nicht die Augen vor der bitteren und schlimmen Wahrheit verschließen, dass es sexualisierte Gewalt und andere Missbrauchsformen bei uns gegeben hat und auch wieder geben kann. Darum müssen wir alles tun, dass unsere kirchlichen Räume möglichst sichere Räume für alle sind. Deshalb prüfen wir all unsere Strukturen sehr genau, deshalb schulen wir alle Mitarbeitenden, deshalb haben wir in der Landes­kirche mit Kirchenrätin Daniela Fricke eine Ansprechpartnerin und eine Meldestelle, die bei Verdachtsfällen sofort tätig wird, auf die wir verweisen. Deshalb nehmen wir alle Aussagen von betroffenen Personen ernst und versuchen nicht, hier irgendetwas zu vertuschen und zu verschweigen.  

 

Zum Abschluss kann ich es nur noch einmal wiederholen: Ich bin zutiefst erschüttert, betroffen und beschämt. Ich kann alle betroffenen Personen im Namen unseres Kir­chenkreises nur um Entschuldigung bitten und sage das selbstverständlich auch in persönlichen Begegnungen, wenn das gewünscht ist. Und ich kann nur zusagen, dass wir als Kirchenkreis, ich als Superintendent alles tun, um sexualisierte Gewalt und Miss­brauch in unserer Kirche hier vor Ort zu verhindern.

 

 

Dr. Christof Grote

Superintendent des

Evangelischen Kirchenkreises Lüdenscheid-Plettenberg

 

Lüdenscheid, 26.01.2024

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