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Barmherzigkeit üben: „Gottesdienst für Unbedachte“
29.11.2024
Von Iris Kannenberg
LÜDENSCHEID + Was hatte man sich unter dem ökumenischen „Gottesdienst für Unbedachte“, der in der Evangelischen Christuskirche zu Lüdenscheid stattfand, konkret vorzustellen? Nun, das Thema war traurig. Jedes Jahr sterben in unserem Land viele hundert Menschen, ohne Beistand, ganz allein und ohne ein eigenes Grab. Sie verschwinden einfach. Ohne einen einzigen Angehörigen oder Freund, der ihr Dahinscheiden bedauern würde. In Lüdenscheid waren das in den Jahren 2023 und 2024 bisher immerhin 71 Verstorbene.
Um ihnen dennoch zu gedenken, veranstalten die Kirchen gemeinsam mit der Stadt jährliche Gedenkgottesdienste für die „Namenlosen Unbedachten“. Der diesjährige Gottesdienst wurde durch den Superintendenten des Evangelischen Kirchenkreises Lüdenscheid-Plettenberg, Dr. Christof Grote, Pastor Claus Optenhövel (kath. St. Medardus-Kirche) und den amtierenden Bürgermeister Sebastian Wagemeyer geleitet. Letzterer eröffnete den Abend mit folgenden Worten: „Wir gedenken in diesem Beisammensein an die vielen einsam gestorbenen in Lüdenscheid. In einer immer kälter werdenden Zeit empfinden wir es als umso wichtiger, an sie zu denken und ihre Namen noch einmal zu nennen. Niemand ist vergessen. Jeder ist einzigartig und hat eine letzte Würdigung verdient.“ Dr. Grote ergänzte: „Wir wollen diese Toten ganz bewusst mit Psalm 121 ehren: „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe? “Meine Hilfe kommt vom HERRN, der Himmel und Erde gemacht hat. Er wird deinen Fuß nicht gleiten lassen, und der dich behütet, schläft nicht. Siehe, der Hüter Israels schläft noch schlummert nicht. Der HERR behütet dich; der HERR ist dein Schatten über deiner rechten Hand, dass dich des Tages die Sonne nicht steche, noch der Mond des Nachts. Der HERR behüte dich vor allem Übel, er behüte deine Seele. Der HERR behüte deinen Ausgang und Eingang von nun an bis in Ewigkeit!““
Pastor Claus Optenhövel predigte: „Vieler Menschen Leben endet einsam. Niemand ist die letzten Stunden mitgegangen. Diese Feier steht im Zeichen der Solidarität mit diesen Toten aber auch im Zeichen der Barmherzigkeit und der Hoffnung auf einen Gott, der die Auferstehung und das Leben ist. Dass Menschen ohne Begleitung begraben werden, lässt immer auch nach ihrem Leben vor ihrem Tod fragen. Was ist passiert, dass ein Mensch so vereinsamen konnte? Jeder Mensch hat seine Würde. Was ist aus dieser Würde geworden? Und gerade, weil ich an die Auferstehung glaube, finde ich auch Trost in diesen Lebensgeschichten mit dem Blick auf einen barmherzigen Vater. Der Glaube an Jesus Christus gibt eine Perspektive des Lebens, die Gott jedem einzelnen durch ihn eröffnet. Jedoch, was ist mit uns? Solche Lebensgeschichten zeigen: Wir sollten einander im Blick behalten. Manche verliert man aus dem Blick. Warum? Wer ist für solche Menschen da, wer interessiert sich für sie? Als Christen ist es unsere Aufgabe, genauer hinzuschauen, nachzufragen und sich nicht zufrieden zu geben. Wir müssen die Menschen um uns herum anschauen, sie wahrnehmen. Um denen, die in Lüdenscheid gestorben sind auf diesem Wege die letzte Ehre zu geben, haben wir uns hier ganz bewusst für ihr Gedenken versammelt.“
Nach diesen bewegendenden Worten folgten Taten. Immer im Wechsel wurden die Namen der Verstorbenen vorgelesen und für jeden eine Kerze angezündet. Es war, als würden diese Toten dadurch noch einmal lebendig. Als würden sie sich im Angesicht der Kerzen versammeln, um noch ein letztes Mal zu bezeugen „Wir waren mitten unter euch. Wir wissen jetzt, wir sind nicht vergessen. Dafür danken wir allen, die an dieser Feier teilgenommen haben.“
Ein Abend und ein Gedenken, dass einerseits den einsam verstorbenen einen Namen gab und andererseits nachdenklich stimmte. 71 Menschen, ganz allein im Leben und im Tode. Das sind viele für so eine kleine Stadt wie Lüdenscheid. Der Gedenkgottesdienst machte sie tatsächlich noch einmal sichtbar und gab ihnen eine Ehre, die sie vermutlich so in ihrem Leben nicht gekannt haben. Ein wichtiger Abend. Nicht nur für die Toten. Auch für die Lebenden. Als Anstoß, sich nicht zufriedenzugeben, sondern sich wachrütteln zu lassen. Für die Einsamen und Verstoßenen unserer Gesellschaft, die durch alle Raster gefallen sind. Genau das möchte Jesus: Dass wir uns kümmern. Dass wir uns erreichen lassen. Dass wir barmherzig sind. Denn wie heißt es in der Bergpredigt? „Seelig sind die, die Barmherzigkeit üben. Denn ihnen gehört das Himmelreich.“