Artikel Archiv

Und fröhlich wächst das junge Gemüse

9.8.2019

Miteinander: Besonders im Spiel draußen wird das Miteinander groß geschrieben (Foto: Haidle)
Miteinander: Besonders im Spiel draußen wird das Miteinander groß geschrieben (Foto: Haidle)

MEINERZHAGEN + Immer wieder stoßen Institutionen an ihre Grenzen. Dann mag eine Mut machende Wachstumsgeschichte wie diese gut tun:

Sommerzeit ist Gartenzeit. Glücklich wer sich im frischen Grün aufhalten kann. Da kriecht und fliegt, da wächst und gedeiht es. Alles scheint wie selbstverständlich im Laufe des Jahreskreises. Wer macht sich schon Gedanken darum, wie mühsam es für einen Schmetterling sein mag, erst durch die Enge des Kokons hindurch zu müssen?

 

Zu Besuch im „Ev. Familienzentrum Hochstraße“ in Meinerzhagen. Was so sachlich daherkommt ist ein in allen Farben blühender Kindergarten. In diesem Garten herrschte im letzten Jahr eine Trockenphase. Ein kräftezehrender Personalengpass sorgte für das meist gefürchtetste Wort von Kindergarteneltern. Wer am Morgen „Notgruppe“ an der Tür der Einrichtung las musste innerhalb von Minuten eine Betreuungsalternative organisieren. Darunter litten nicht nur Eltern, sondern auch die Erzieherinnen, die mit letzten Kräften dafür sorgten den Betrieb aufrechtzuhalten. Wie wertvoll an solch einer Stelle eine engagierte Elternschaft ist, das weiß Dirk Cechelius, Geschäftsführer des Trägerverbundes der Ev. Kindertageseinrichtungen des Kirchenkreises Lüdenscheid-Plettenberg: „Toll, dass die Eltern, allem voran der Elternbeirat und Förderverein, nicht locker ließen. So haben wir gemeinsam einiges erreichen können.“

 

Tauchen Probleme auf, ist alleiniges meckern nicht hilfreich, sondern eine gemeinsame Lösungssuche mit Betroffenen und Verantwortlichen.

 

Die größte Errungenschaft ist die Einstellung von Tanja Mißbach als Einrichtungsleiterin. Wir kennen sie alle, diejenigen, die am Ort ihrer Beschäftigung genau am richtigen Fleck gelandet sind. Und so eine ist auch die vielfach weitergebildete gebürtige Ruhrgebietlerin, die schon als Sechsjährige wusste: „Ich werde Erzieherin!“. Mit einer Oma als Küsterin ist sie ein „Kirchenkind“ und hat gerne an der religionspädagogischen Weiterbildung des Kirchenkreises teilgenommen.

 

Als Inklusionsfachkraft weiß sie: Alles hat seine (individuelle) Zeit! Die einen wachsen schnell in die Höhe, die anderen brauchen länger. Und wieder andere wachsen besonders ans Herz, kommen aber an manche Fertigkeiten der Gleichaltrigen nicht heran. Zum schmunzeln ist wenn ein Kind als Unterscheidungsmerkmal lediglich die verschiedenen Haarfrisuren eines Zwillingspaares nennt, und nicht etwa die Tatsache, dass die eine anfangs mit ihrem Rucksack auf dem Rücken aufgrund einer Behinderung zur Essensecke robbte. „Kinder haben ein anderes Weltbild. Wir Erwachsenen schweifen leider schnell in die Realität ab“, weiß die Leiterin und freut sich, dass die beschriebene Dreijährige heute ihre neugierigen Entdeckungstouren in aufrechtem Gang unternimmt.

 

Die Frage nach dem „Warum ist der/die nur so anders?“ und das miteinander Vergleichen hilft selten weiter. Vielmehr bringt der Gedanke „Fülle durch Vielfalt“ Tiefe in das System.

 

Nach jedem Winter kommt der Frühling und damit weht ein neuer Wind für die 42 Raupen – und Schmetterlingskinder, die in den zwei gleichnamigen Gruppen begleitet werden.

Tanja Mißbach liegen sinnvolle Strukturen und gute Kommunikation im Sinne einer Erziehungspartnerschaft mit den Kolleginnen, Eltern und Kindern am Herzen.

 

Dass dem gesamten Team die Balance aus Aktion und Entspannung wichtig ist, spürt man in den klaren Phasen der ruhigen Beschäftigung, die dem Basteln oder dem Erarbeiten des Themas gewidmet sind. In diesen Monaten sind das die Schmetterlinge. Und das nicht nur theoretisch. Der Förderverein hat sechs Raupen angeschafft. Diese müssen über Wochen von den Kindern versorgt werden. Neu ist auch der Einzug des „Bücherwurmes“, einer rollenden Bücherei, aus der wöchentlich ein Buch entliehen werden darf.

„Raus in den Alltag“ soll es in Zukunft heißen, wenn eine Gruppe Kindergartenkinder mit Erzieherin im Stadtbild zu sehen ist. Unter dieser Devise werden die Kinder in der Stadt Dinge ganz praktische Dinge einüben, wie zum Beispiel der sichere Umgang im Straßenverkehr oder das selbstständige Einkaufen.

 

In der Nachbarschaft der Jesus-Christus-Kirche gibt es viel Freiraum zum entdecken und austoben. Gesegnet sind die Kita-Sprösslinge mit einem großen Garten im Außenbereich. Büsche laden zum verstecken ein. Große, alte Bäume sind durch Kletterseile miteinander vernetzt. Und seit ein paar Wochen sorgt ein rotes Sonnensegel für zusätzlichen Schatten. In einem nagelneuen Hochbeet wachsen Gemüse und Erdbeeren. Beim durch den Förderverein initiierten „Acker&Racker-Tag“ packten Eltern an um dies zu ermöglichen. Von vielen beneidet wurde da die kleine Marlene, die auf dem Schoß ihres Papas mit einem echten Bagger fahren durfte. Drinnen kamen Näh- und Bohrmaschine zum Einsatz. Es wird also insgesamt freundlicher in dem Gebäude der Siebziger Jahre: Neue Garderobenmöbel,

ein verschönerter Schlafraum und ein neues Zirkus-(Musik)Zimmer, das wiederum von einigen fleißigen Eltern gestaltet wurde. 

 

Engpässe und herausfordernde Situationen rufen nach Vernetzung. Gemeinsame Arbeitseinsätze schaffen Neues und stärken den Zusammenhalt.


Und dann ist es soweit: Auf der Infotafel steht es geschrieben: „Heute entlassen wir unsere Schmetterlinge in die Freiheit!“. Erste Sonnenstrahlen seit Tagen heben die Laune. Die Kinder versammeln sich im Abschlusskreis auf dem Hof. Der Dienstältesten Kollegin wird ein kräftiges Geburtstagslied geschenkt. Und dann wird es still. Der Korb der Schmetterlinge wird geöffnet. Ganz zögerlich ertasten die Falter die Freiheit. Und als sich der erste Freund in die Lüfte erhebt, ertönt in der Hochstraße ein lauter Jubel.

 

Nicht immer läuft alles optimal. Manchmal sind die Zeiten eng und man fühlt sich gefangen. Doch gibt es auch die Momente, in denen sich alles weit öffnet. Und dann heißt es: Trau dem Ganzen, flieg! ©CH

 

 

 

Bildimpressionen aus dem Ev. Familienzentrum Hochstraße/Meinerzhagen (Fotos: Haidle)

 

Junges Gemüse: Gute Pflege und Geduld braucht jedes junge Gemüse, Kinder wie auch Pflanzen

 

 

Schmetterlingshaus: „Als die noch Raupenbabys waren kamen die zu uns. Jetzt sind es Schmetterlinge!“

 

 

Kinderfreude: Das lange Warten hat ein Ende: Endlich dürfen die schönen Schmetterlinge fliegen!

zurück zur Übersicht