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"Näher als du denkst"

13.12.2021

Vor dem Großplakat "Wundervoll: Chanukka beziehungsweise Weihnachten" sprachen Matthias Wagner, Hella Goldbach, Achim Riggert und Bürgermeister Sebastian Wagemeyer (v.l.) über jüdisches Leben in Deutschland und in der Region. (Foto: Jakob Salzmann)
Vor dem Großplakat "Wundervoll: Chanukka beziehungsweise Weihnachten" sprachen Matthias Wagner, Hella Goldbach, Achim Riggert und Bürgermeister Sebastian Wagemeyer (v.l.) über jüdisches Leben in Deutschland und in der Region. (Foto: Jakob Salzmann)

LÜDENSCHEID + Vor dem Großplakat mit der Aufschrift „Wundervoll: Chanukka beziehungsweise Weihnachten“ befragte Achim Riggert, Beauftragter des Evangelischen Kirchenkreises Lüdenscheid-Plettenberg und Sprecher des Interreligiösen Forums, heimische Prominente und Experten vor der Lüdenscheider Erlöserkirche zum jüdischen Leben in Deutschland und in der Region. Gedacht als Beitrag zum Festjahr „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ soll die von der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz ins Leben gerufene Plakataktion „#beziehungsweise – jüdisch und christlich: näher als du denkst“ mit Motiven wie Chanukka/Weihnachten am Beispiel von Gedenk-, Fest- und Feiertagen auf die engen Beziehungen zwischen dem Judentum und Christentum hinweisen. Drei dieser Großplakate hat der Kirchenkreis, der sich an der Aktion beteiligt, dazu aufgestellt: an der Lüdenscheider Erlöserkirche, am Paul-Gerhard-Haus in Plettenberg und an der Erlöserkirche in Attendorn. Drei Gesprächsrunden – von Media 4Web aufgezeichnet – begleiten die Aktion.

Waren bei der zweiten von drei Gesprächsrunden zur Plakataktion Gesprächspartner: Superintendent Dr. Christof Grote, Kreisdechant Patrick Schnell und der Kirchenkreis-Beauftragte Achim Riggert (v.l.). (Foto: Jakob Salzmann)
Waren bei der zweiten von drei Gesprächsrunden zur Plakataktion Gesprächspartner: Superintendent Dr. Christof Grote, Kreisdechant Patrick Schnell und der Kirchenkreis-Beauftragte Achim Riggert (v.l.). (Foto: Jakob Salzmann)

Gezielt befragte Achim Riggert seine Gesprächspartner zum Festjahr und Begegnungen mit dem Judentum. Schwerpunktmäßig um die Ge-Denk-Zellen in den ehemaligen Arrestzellen im Alten Lüdenscheider Rathaus, besondere Aufgaben der Schulen und gegenwärtiges jüdisches Leben ging es im Gespräch mit Matthias Wagner (Ge-Denk-Zellen), der mehr Vernetzung anmahnte. Ähnlich vielfältig waren die Fragen an Lüdenscheids Bürgermeister Sebastian Wagemeyer. Nach seiner ersten persönlichen Begegnung mit dem Judentum und einem besonderen Menschen gefragt, nannte dieser den Rapper Ben Salomon. Gesamtgesellschaftlich gelte es gegen Hass und Hetze klar Position zu beziehen. „Wir Christen haben sehr viel vom Judentum gelernt“, betonte Hella Goldbach von der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, die Riggert unter anderem zu ihren Besuchen in Israel, jüdischen Traditionen und Gemeinsamkeiten beider Religionen befragte. Ihr Entsetzen über die Zunahme von Antisemitismus brachte die Lüdenscheiderin dabei zum Ausdruck.

Schwerpunktmäßig um die Ge-Denk-Zellen ging es im Gespräch mit Matthias Wagner. (Foto: Jakob Salzmann)
Schwerpunktmäßig um die Ge-Denk-Zellen ging es im Gespräch mit Matthias Wagner. (Foto: Jakob Salzmann)

Bei der zweiten der drei Gesprächsrunden beleuchteten Dr. Christof Grote (Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Lüdenscheid-Plattenberg) und Patrick Schnell (Kreisdechant des Kreisdekanats Altena-Lüdenscheid) an gleicher Stelle die engen Beziehungen zwischen Judentum und Christentum aus evangelischer und katholischer Perspektive. Auf das Festjahr, die Plakataktion und persönliche Begegnungen mit dem Judentum sprach Riggert seine beiden Gesprächsgäste an. Lange Jahre habe er keine Berührungspunkte mit dem Judentum gehabt, antwortete Grote. Im Studium habe er sich jedoch intensiv mit dem Judentum beschäftigt. An der Hebräischen Bibel sei ihm aufgefallen, dass Gott keine Superhelden, sondern (fehlbare) Menschen wie David oder Jakob erwählt habe. Das sei beeindruckend. Theoretisch durch Bücher und praktisch durch einen ersten Besuch der großen Synagoge von Essen sowie seine regelmäßigen Israel-Reisen habe er Bekanntschaft mit dem Judentum gemacht, ergänzte Schnell. Die besondere Mischung aus Melancholie und Lebensfreude, die für das Land so typisch ist, sei ihm ans Herz gewachsen.

Auch Bürgermeister Sebastian Wagemeyer (l.) stellte sich den Fragen des Kirchenkreis-Beauftragten. (Foto: Jakob Salzmann)
Auch Bürgermeister Sebastian Wagemeyer (l.) stellte sich den Fragen des Kirchenkreis-Beauftragten. (Foto: Jakob Salzmann)

Auf die Gemeinsamkeiten zwischen Judentum und Christentum angesprochen, nannte der Superintendent die Aussage beider Religionen, dass Gott der Schöpfer der Welt ist, und die Zehn Gebote. „Jesus war Jude und er hat ganz eng in dieser Tradition gelebt.“ Es sei notwendig, diese Gemeinsamkeit ins Bewusstsein zu rücken. Synagogen, die unter Polizeischutz stehen, und Angriffe auf Juden, die eine Kippa tragen, kehrte er nicht unter den Tisch. Darüber hinaus ging er auf die Abkehr von der Judenmission durch die evangelische Kirche ein. Am Zweiten Vatikanischen Konzil, das eine Wende im Verhältnis von katholischer Kirche und Judentum brachte, hängte Achim Riggert weitere Fragen an Patrick Schnell auf. Es sei wichtig, darauf hinzuweisen, dass das Christentum aus dem Judentum hervorgegangen sei, betonte der Kreisdechant. Dies sei über Jahrhunderte vergessen worden. Wichtig sei, als Kirche immer wieder darauf hinzuweisen. In diesem Zusammenhang wies er auf die jüdischen Wurzeln von Liturgie, Gebeten und bestimmten Kleidungsstücken hin. ©ms

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