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Mit Wasser und Matsch auf den Ernst des Lebens vorbereitet

27.7.2022

Mit der Wasser- und Matschanlage wurde das Außengelände im Jahr 2007 erweitert. (Foto: Karl-Herrmann Ernst)
Mit der Wasser- und Matschanlage wurde das Außengelände im Jahr 2007 erweitert. (Foto: Karl-Herrmann Ernst)

von Karl-Herrmann Ernst

 

ATTENDORN + Das Jahr 1971 war wohl seit ihrer Gründung (1848) und dem Bau der Erlöserkirche (1913/14) ein – zumindest finanziell - herausragendes Jahr für die evangelische Kirchengemeinde Attendorn, heute Bezirksgemeinde der evangelischen Kirchengemeinde Attendorn-Lennestadt. Zum einen konnte zu Pfingsten die neue Friedenskirche zwischen Neu-Listernohl und Petersburg ihrer Bestimmung übergeben werden. Zum anderen hatte die Gemeinde zuvor im April ihren neuen Martin-Luther-Kindergarten offiziell seiner Bestimmung übergeben.

Fast 3000 Kindern wurde in den 50 Jahren seit der Eröffnung des ersten evangelischen Kindergartens in Attendorn „das Einleben in die Gemeinschaft der Menschen erleichtert“, wie es der damalige Superintendent des Kirchenkreises Plettenberg, Otto Grünberg, in seiner Einweihungsrede formulierte. Die Einrichtung an der Magdeburger Straße ist bis heute der einzige Kindergarten in evangelischer Trägerschaft in den Diasporagemeinden des heutigen Kirchenkreises Lüdenscheid-Plettenberg.

Wurde im vergangenen Jahr 50: Der Martin-Luther- Kindergarten. (Foto: Karl-Herrmann Ernst)
Wurde im vergangenen Jahr 50: Der Martin-Luther- Kindergarten. (Foto: Karl-Herrmann Ernst)

„Auf den Ernst des Lebens vorbereiten“

 

Zwar nahm die Einrichtung am 1. Februar 1971 wegen Personalmangels (die eingestellte Kindergartenleiterin war im Januar kurzfristig von ihrem Vertrag zurückgetreten) zunächst mit nur 64 Kindern ihren Betrieb auf. Doch bereits am 1. April desselben Jahres war das notwendige Personal vollständig, so dass ab diesem Zeitpunkt 90 Kinder „auf den Ernst des Lebens“ vorbereitet werden konnten.

 

Damit konnte nach einer mehr als acht Jahre dauernden Planungs- und Bauzeit der damalige Kindergartenplatzmangel in Attendorn zu einem guten Teil beseitigt werden. Vertreter aus Politik, der Verwaltung und übergeordneter Kirchengremien unterstrichen bei der offiziellen Übergabe des Gebäudes, dass die evangelische Kirchengemeinde als kleine Diasporagemeinde mit diesem Objekt eine große finanzielle Belastung auf sich genommen habe. „Aber“, wie es Superintendent Grünberg ausdrückte: „Kindergärten sind nun einmal auch eine große Aufgabe der Kirchen. Der erhebliche Beitrag, der jährlich von der Kirchengemeinde aufgebracht werden muss, ist gut angelegt.“

 

Genau sechs Jahre nach seiner Gründung konnte der „Bauverein evangelisches Gemeindezentrum e.V.“ mit seinem rührigen Vorsitzenden Johannes Kresse 1969 das Richtfest für den – damals noch hoffnungsfroh – ersten Bauanschnitt feiern. Zu einem evangelischen Gemeindezentrum kam es dann allerdings nicht mehr.

 

Als im Oktober 1963 der Verein mit seiner Arbeit begann, war er aus einer Notwendigkeit heraus gegründet worden: Obwohl seit dem Zweiten Weltkrieg die evangelische Bevölkerung in der Hansestadt sprunghaft anwuchs, wurden außer dem Neubau des Pfarrhauses Am Westwall keine weiteren Baumaßnahmen in Angriff genommen. Auch wenn im Schwalbenohl, dem neuen Bebauungsgebiet der Stadt, rund ein Drittel der Bevölkerung evangelisch war, konzentrierte sich das Gemeindegeschehen auf die Innenstadt rund um die Erlöserkirche, so dass der Wunsch nach einem Gemeindezentrum dort immer lauter wurde.

 

In der Gründungssitzung des Bauvereins erkannte man die Errichtung eines Kindergartens als vordringlichste Aufgabe. Und so widmete man sich zunächst dieser Aufgabe.

 

Bereits vier Wochen nach der offiziellen Eröffnung machten sich zahlreiche Väter daran, den Außenbereich in Selbsthilfe mit Sandkästen und Klettergeräten auszurüsten. 1994 mussten die Geräte erneuert und auf den neuesten Stand gebracht werden.

 

Erweiterung des Außengeländes mit Wasser- und Matschanlage

 

Im Juli 2007 bauten im Rahmen eines Arbeitspädagogischen Seminars acht Auszubildende der Kölner Fordwerke in der Außenanlage eine Wasser- und Matschanlage für die Kleinen. Anhand dieser Anlage konnten die sich nun manche Fragen selbst beantworten wie: „Warum rennt das Wasser immer nur bergab?“, „Warum krümelt der Sand?“, „Kann der Stein nicht schwimmen? Aber guck mal, fliegen kann er aber!“, „Wer dreht denn das Wasserrad?“ oder „Der Matsch kann sich ja durch meine Finger quetschen!“

 

Mit dieser Anlage, die für „die Kinder ein Paradies, aber ein Horror für die Mütter“ (Zitat einer der damals betroffenen Mutter) wurde, machten die Kinder zahlreiche Sinneserfahrungen. Sie spürten wie unterschiedlich sich stoppeliges Gras, weicher Matsch oder glatte Steine anfühlten. Sie erforschten dabei die Grundlagen der Naturgesetze auf spielerische Art und eigneten sich so Vorkenntnisse an, auf die sie später in der Schule aufbauen konnten.

 

Die Anschaffung wurde finanziell vom Lions-Club Plettenberg-Attendorn, dem stellvertretenden Bürgermeister Guntermann sowie dem Erlös des Kindergartenfestes zum Abschluss des Kindergartenjahres unterstützt.

Anforderungen wuchsen

 

Während man in anderen Gemeinden versuchte, eine Lösung zu finden, um dem Rechtsanspruch der Dreijährigen auf einen Kindergartenplatz gerecht zu werden, musste der Martin-Luther-Kindergarten einen anderen Weg gehen. Seit längerer Zeit schon entsprach die Ist-Stärke der drei Gruppen nicht mehr der vorgesehenen Soll-Stärke des Drei-Gruppen-Kindergartens.

Schweren Herzens entschloss sich das Presbyterium der Gemeinde, eine Gruppe zu schließen und das Personal entsprechend zu verringern. Mit dieser Entscheidung einher ging allerdings auch eine Neuausrichtung der Arbeit der Einrichtung.

 

Die Anforderungen an die Arbeit mit dem Nachwuchs hatten sich entscheidend verändert, was die Leitung des Kindergartens zusammen mit dem Presbyterium nun in zeitgemäße Konzepte umsetzte. So wurde aus dem dritten Gruppenraum eine „Bewegungsbaustelle“, um dem Bewegungsdrang der Kinder auch bei schlechtem Wetter gerecht zu werden. In einem weiteren Raum stellte man zehn Kinderbetten bereit, so dass hier nach dem Mittagessen die „Tagesgäste“ Siesta halten können.

 

Doch damit waren die baulichen Änderungen im Kindergarten noch nicht abgeschlossen. Gezwungen durch das Gesetz, dass nun auch die Betreuung von unter 3-Jährigen vorsieht, musste die Kirchengemeinde wieder einmal umbauen. Mit Unterstützung des Kreises Olpe und der Stadt Attendorn investierte die evangelische Kirchengemeinde rund 170.000 € für diesen Zweck. Zunächst wurde der gesamte Eingangsbereich neugestaltet, ebenso die Toilettenanlagen und der Durchgang zur Gartenanlage. Ebenso erhielten die beiden Gruppenräume nunmehr jeder einen Nebenraum. Im oberen Bereich wurden eine kleine Kochgelegenheit und der heutige Ruheraum für die Kinder, die ganztags betreut werden, eingerichtet.

 

Erweiterung zur Sprach-Kindertagesstätte

 

2011 wurde der Kindergarten zu einer Sprach-Kindertagesstätte.

Als einzige aus dem Kreis Olpe von den zehn Gemeinde-getragenen Kindertagesstätten im evangelischen Kirchenkreis Lüdenscheid-Plettenberg erhielt der Martin-Luther-Kindergarten im Sommer 2018 das Evangelische Gütesiegel BETA mit Urkunde und Plakette.

Im Sommer 2018 erhielt der Kindergarten das Gütesiegel BETA für Kitas. (Foto: Karl-Herrmann Ernst)
Im Sommer 2018 erhielt der Kindergarten das Gütesiegel BETA für Kitas. (Foto: Karl-Herrmann Ernst)

Die Bundesvereinigung Evangelischer Tageseinrichtungen für Kinder (BETA) verleiht dieses Zertifikat auf Grundlage des Bundesrahmenhandbuchs als Leitfaden für den Aufbau eines Qualitätsmanagementsystems in den entsprechenden Einrichtungen.

 

Die Auszeichnung nahm die Referentin für Qualitätsentwicklung und pädagogische Grundsatzfragen im Geschäftsfeld Tageseinrichtungen für Kinder in der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe, Aylin Höper, vor.

„Situationsbezogene Pädagogik“ ist das Stichwort, dass die heutige Arbeit mit den Kindern prägt. Sie verlangt von den pädagogischen Mitarbeiterinnen den ständigen Dialog mit den Kindern, den Eltern und dem Kindergartenträger. Ziel ist die Stärkung der Persönlichkeit der Kinder, eingebunden in Martin Luthers „Freiheit eines Christenmenschen“.

 

Am 1. Juni dieses Jahres trat Anja Böddecker als 7. Kindergartenleiterin ihr Amt an der Magdeburger Straße an. Seit seinem Bestehen vor 50 Jahren leiteten den Kindergarten Barbara Jander (1971 – 1972), Brigitte Kose (1972 – 1973), Marion Schrottke (1973 – 1988), Angelika Flor (1989 – 1997), Renate Hüttemann (kommissarisch) (1997 – 2014) und Jennifer Dubrau-Hendrichs (2015 – 2022).

 

Obwohl die evangelische Kirchengemeinde Träger der Einrichtung ist, besuchen den Kindergarten auch Kinder aus Familien anderer Konfessionen und Glaubensrichtungen. Im Schnitt waren und sind nur etwa ein Drittel der Kinder Angehörige der eigenen Gemeinde. ©khe

50+1 Jahre Ev. KiTa in Attendorn (Fotos: Karl-Herrmann Ernst)

  • Blick von der Außenanlage auf den Kindergartenfestes

  • Der Kindergarten überzeugte schnell mit seinen Außenanlagen

  • Mit der Wasser- und Matschanlage wurde das Außengelände im Jahr 2007 erweitert.

  • 2003 wurden nach erfolgten Umbauarbeiten auch Schlafplätze für Kinder in „Über-Mittag-Betreuung“ eingerichtet

  • Hell erstrahlt der neue Eingangsbereich

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