Artikel Archiv

Wider das Vergessen

19.11.2022

Lesung im Cafe Breddermann: Birte Lindtstaedt spielt zur Eröffnung aus Schindlers Liste. (Foto: Iris Kannenberg)
Lesung im Cafe Breddermann: Birte Lindtstaedt spielt zur Eröffnung aus Schindlers Liste. (Foto: Iris Kannenberg)

SCHALKSMÜHLE + Am 9. November 2022 jährte sich die Reichsprogrom-Nacht auch „Reichskristallnacht“ genannt, zum 84. Mal. Die Volkshochschule Volmetal lud zu diesem Anlass zu einer Lesung der Brieferzählung „Empfänger unbekannt“ von Katherine Kressmann Taylor in das Kunst- und Kulturcafé Breddermann in Schalksmühle ein. VHS-Leiterin Marion Görnig und Martina Schnerr-Bille rezitierten das hochspannende und berührende literarische Meisterwerk. Die beiden Rezitatorinnen terminierten ihre Lesung ganz bewusst auf den Tag, an dem damals, in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 in Deutschland die Synagogen brannten. Zum Gedenken und zur Mahnung an dieses Fanal zu millionenfachem Mord, angeordnet von Staats wegen, legalisiert durch Anordnungen, übersehen von allen, die den Blick abwandten.

 

Im selben Jahr erschien in dem US-amerikanischen „Story Magazine“ in mehreren Folgen ein kleiner Briefroman unter dem Titel „Adress Unknown“ von Katherine Kressmann Taylor. Gestaltet als Briefroman zwischen einem amerikanischen Juden und einem Deutschen in den Monaten um die Machergreifung 1933, zeichnet dieser Roman in bewegender Schlichtheit die dramatische Entwicklung einer Freundschaft, die in rasender Geschwindigkeit, von Brief zu Brief zerbricht, und auf dem Höhepunkt eine so unerwartete Wendung nimmt, dass dem Lesenden der Atem stockt.

 

Allen gemeinsam ist, dass sie als Christinnen eine besondere Liebe zum jüdischen Volk teilen und sich mit ihrer Kunst aktiv „Wider das Vergessen“ engagieren.

Marion Görnig und Martina Schnerr-Bille übernehmen jeweils eine Person aus der Novelle, die aus Briefen besteht. (Foto: Iris Kannenberg)
Marion Görnig und Martina Schnerr-Bille übernehmen jeweils eine Person aus der Novelle, die aus Briefen besteht. (Foto: Iris Kannenberg)

Rezitatorin Marion Görnig faszinierte schon früh das Judentum. Sie las die Tagebücher von Viktor Klempner und fühlte sich zutiefst mit ihm verbunden. Auch mit anderen jüdischen Schriftstellern. Als sie das erste Mal in Jerusalem war, spürte sie auch dort diese starke Verbundenheit. Ein Besuch in Yad Vashem wurde ein „Lebenserlebnis“, wie sie es nennt.

 

Diese Affinität zum jüdischen Volk verstärkte in ihr das Gefühl, etwas tun zu müssen. „Es darf auf keinen Fall vergessen werden, was damals hier auf deutschem Boden geschehen ist. Immer in der Hoffnung, dass der Mensch etwas daraus lernt. Zur Hoffnung gibt es eben auch keine Alternative. Ich bin Mitglied der „Initiative Stolpersteine“. Ein Herzensanliegen. Dazu gehören auch die drei Kiersper Stolpersteine für Heinrich Rachel, seine jüdische Frau Bertha und ihren Sohn Erich Hess aus erster Ehe, die ich seit ihrer Verlegung jeden 9. November auf Hochglanz poliere. Man muss dabei knien, was ich sehr symbolisch und ergreifend finde.“

Birte Lindtstaedt spielte passende Musikstücke aus der Klezmer-Musik, die nicht nur fröhliche Weisen kennt, sondern auch die Trauer der Juden über die Progrome wiedergibt. (Foto: Iris Kannenberg)
Birte Lindtstaedt spielte passende Musikstücke aus der Klezmer-Musik, die nicht nur fröhliche Weisen kennt, sondern auch die Trauer der Juden über die Progrome wiedergibt. (Foto: Iris Kannenberg)

Musikalisch begleitet wurde die Lesung von der Violinistin Birte Lindtstädt. Die Musikerin, die an diesem Abend auf der Geige u.a. aus „Schindlers Liste“ spielte, ist regelmäßig in Israel, spricht Hebräisch und kümmert sich besonders um Holocaust-Überlebende. Zudem war sie bereits mehrere Male in Auschwitz und traf sich dort mit Überlebenden des Konzentrationslagers. Sie setzt ihr musikalisches Talent gezielt ein, um etwas zu bewegen. Mit dem unbedingten Willen, nichts einfach wieder so geschehen zu lassen. Zu ihrer Intention, an diesem Abend kostenlos aufzutreten erklärt sie: „Ich hoffe, damit einen kleinen Beitrag zu leisten, so etwas wie den Holocaust nie mehr möglich zu machen. Keine leichte Aufgabe und doch bin ich mir sicher: Solange es noch „Rufer in der Wüste“ gibt, solange besteht die Hoffnung, dass Menschen etwas daraus gelernt haben und sich erinnern wollen.“

 

Visualisiert wurde die Veranstaltung mit den Bildern von Kristin Hartmannsberger, Cornelia Ziemke und Iris Kannenberg. Auf den Bildern sind Motive aus und um das Judentum herum zu sehen. Davidstern, Menora, der „Löwe von Judah“, aber auch „Der Auszug aus Ägypten“, die „Klagemauer“ oder „Der Mandelzweig“ leuchteten von den Wänden auf die Zuschauer herab. Und die waren zahlreich erschienen. Das Café war bis zum letzten Platz besetzt. Iris Kannenberg (Evangelische Kreuzkirche Lüdenscheid) berichtet: „Kristin und ich waren bereits im letzten Jahr bei der Lesung von Marion Görnig und Martina Schnerr-Bille mit dabei. Auch Birte Lindtstaedt spielte dort bereits. Nach der Lesung kamen wir mit den Frauen und Christian Breddermann, dem das Café gehört, ins Gespräch und fragten spontan, ob wir nicht 2022 mit unseren Bildern teilnehmen dürften. Der Vorschlag wurde begeistert aufgenommen.

Die drei Künstlerinnen Kristin Hartmannsberger, Cornelia Ziemke und Iris Kannenberg gemeinsam mit Café-Besitzer Christian Breddermann (v.l.n.r.). (Foto: Iris Kannenberg)
Die drei Künstlerinnen Kristin Hartmannsberger, Cornelia Ziemke und Iris Kannenberg gemeinsam mit Café-Besitzer Christian Breddermann (v.l.n.r.). (Foto: Iris Kannenberg)

Auch wir Bildenden Künstlerinnen beschäftigen uns schon lange mit diesem Thema. Es ist uns ein Herzensanliegen. Wir wollen damit ebenfalls gegen das Vergessen ein Zeichen setzen und Gottes Volk ehren. Wir gehören als Christen und Juden zusammen, beten zum gleichen Gott und verdanken dem Judentum nicht nur die Bibel, sondern auch unseren Erlöser Jesus Christus sowie alle Apostel. Uns war es eine Ehre, an solch einem wichtigen Tag wie dem 9. November als Christen gemeinsam zu bekennen, dass wir das jüdische Volk niemals vergessen werden.

 

Unser Dank geht nicht nur an die beiden rezitierenden Frauen und Birte Lindtstaedt sondern ganz besonders an Christian Breddermann, der mit so viel Engagement und Herzblut hinter uns steht und seine Türen immer sperrangelweit aufmacht, wenn es um solche Themen geht. Bei steigendem Antisemitismus keine einfache Sache. Wir haben uns zudem sehr über den Zuspruch der vielen BesucherInnen gefreut. Sie waren sehr angetan von der Lesung, den Bildern und der Musik. Wir haben sogar noch gemeinsam mit dem gesamten Publikum „Am Israel Chai (Israel möge leben)“ in Birtes Handy-Kamera gesungen. Den Film schickte sie direkt nach Israel zu deutschen Holocaust-Überlebenden. Seitens der Besucher bestand ein echtes Interesse an den Motiven unserer Bilder. Sie ließen sich teilweise auf tiefe Gespräche ein. Ein schöner Abend, den wir mit einem großen Dankeschön an Gott persönlich beendeten.“

 

Allen, die sich in diesem Bereich engagieren ist klar, dass es heute immer noch Antisemitismus gibt. Sie werden teilweise sehr direkt damit konfrontiert. Marion Görnig bestätigt: „Man erreicht gerade diese Menschen nur schwer. Da gebe ich mich keiner Illusion hin. Ins Nachdenken kommen viele Menschen eben doch erst, wenn es sehr persönlich wird. Wir freuen uns aber darüber, dass es auch in Deutschland Menschen gab, die Widerstand geleistet haben. Auch von ihnen berichten wir oft in Lesungen. Wir alle benötigen positive Identifikationspersonen. Menschen, die den Mut hatten und haben, einen anderen Weg zu gehen.“

 

Martina Schnerr-Bille fasst das gemeinsame Engagement der Künstlerinnen dieses Abends für alle treffend zusammen: „Wir wünschen uns, besonders die, die es wirklich hören müssten, damit zu erreichen. Manchmal fühlen wir uns wie Streetworker, die zusammen rausgehen, um besonders denen zu begegnen, die sich mit unserer Vergangenheit nicht auseinandersetzen wollen. Wer jedoch seine Vergangenheit nicht kennt, steht immer in der Gefahr, das gleiche wieder zu tun. Dem wollen wir entgegenwirken. Zugegeben: Wir sind nur kleine Bausteine. Aber auch die braucht man, um große Häuser zu bauen…“

Das Interesse des Publikums war sehr groß. Nach der Lesung wurde daher noch viel geredet, gefragt und auch die Bilder wurden mit großem Interesse betrachtet. (Foto: Iris Kannenberg)
Das Interesse des Publikums war sehr groß. Nach der Lesung wurde daher noch viel geredet, gefragt und auch die Bilder wurden mit großem Interesse betrachtet. (Foto: Iris Kannenberg)

zurück zur Übersicht