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Wort zum Sonntag: Was willst du, das ich dir tun soll?

15.9.2018

Das Wort zum Sonntag: Diesmal mit Gedanken von Iris Jänicke, Geschäftsführerin des Diakonischen Werkes des Evangelischen Kirchenkreiseses Lüdenscheid-Plettenberg (Grafik: EKD)

 

Unerhört. Diese Flüchtlinge!

Unerhört. Diese Alten!

Unerhört. Diese Obdachlosen!

Unerhört………

 

Liebe Leserinnen und Leser,

vielleicht haben Sie letzten Sonntag den Fernsehgottesdienst im ZDF gesehen, in dem der Diakoniepräsident Ulrich Lilie die biblische Geschichte vom blinden Bettler Bartimäus aus dem Markus-Evangelium erzählt hat. In dieser Geschichte versucht die Menschenmenge den Bettler mundtot zu machen, der nach dem vorüberziehenden Wanderprediger ruft: Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich meiner. Der Bettler nervt, er stört den Ablauf, er fällt aus seiner Rolle als stiller Almosenempfänger. So ein Verhalten ist unerhört, ja geradezu ungehörig - glauben die Umstehenden. Sie versuchen den blinden Bettler zum Schweigen zu bringen, zu ignorieren, zu übertönen. Doch Jesus hört trotz des Betriebes um ihn herum den Hilferuf und interveniert: er fragt nach, er schaut hin und wendet sich Bartimäus persönlich zu. Er fragt ihn: Was willst du, das ich dir tun soll? Wenn es nach den Umstehenden in dieser Geschichte gegangen wäre, wäre der blinde Bartimäus unerhört geblieben.

In der eingangs erwähnten Fernsehpredigt wurde auf die großen lilafarbenen Diakonieplakate hingewiesen, die auch in unserer Stadt hängen: Unerhört, diese Flüchtlinge! Unerhört, diese Alten! Unerhört, diese Obdachlosen! Auf diesen Plakaten stellt die Kampagne der Diakonie die Frage nach den unerhörten Menschen in unserem Land. Nach denen, die nicht gehört, die nicht gefragt werden, was sie brauchen, was sie denken. Allzu laut klingt doch gerade jetzt wieder der Lärm der Schreihälse und der Aufmarschierer, die fordern: Flüchtlinge raus – Deutschland den Deutschen. Allzu selbstgerecht die Schuldzuweisungen, wer oder was die „Mutter aller Probleme“ sei. Wie leicht verschließen sich in all dem populistischen Getöse dieser Tage die Augen, die Ohren, die Herzen. Ganz anders Jesus in der Geschichte vom blinden Bartimäus: Er hört hin und fragt nach, ohne Besserwisserei, ohne gutgemeinte Ratschläge, aber mit offenen Augen und feinem Gehör.

Die Geschichte von Bartimäus hat übrigens ein Happy-end: Auf die Frage: Was willst du, das ich dir tun soll? antwortet der Blinde: Dass ich sehend werde! Und Jesus heilt ihn. Bartimäus wird sehend. Das wünsche ich mir und Ihnen auch: dass wir sehend werden, wo Menschen mitten in unserer reichen Gesellschaft an den Rand gedrückt werden. Dass wir hörend werden, wo Menschen ungehört in ihrer Not sind. Dass wir fragen – und selber auch hin und wieder gefragt werden: Was willst du, dass ich dir tun soll?

Iris Jänicke - Geschäftsführerin des Diakonischen Werkes des Evangelischen Kirchenkreises Lüdenscheid-Plettenberg

 

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