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„Was wird aus Weihnachten?“

24.12.2020

Christof Grote - Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Lüdenscheid-Plettenberg
Christof Grote - Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Lüdenscheid-Plettenberg

Liebe Leserin, lieber Leser,

 

diese Überschrift in all ihren Variationen füllt in diesem Corona-Jahr 2020 die Schlagzeilen vor den Weihnachtstagen: Was wird aus dem Fest, wenn sogar die Landeskirche dringend von Präsenzgottesdiensten abrät? Wie können wir überhaupt noch feiern? Mit wem können wir diese Tage verbringen? – Das sind bedrängende Fragen, die uns umtreiben. Vor einem Jahr konnte es sich niemand vorstellen, vor welchen Herausforderungen wir heute stehen. Es ist so, dass Heiligabend und Weihnachten 2020 ganz anders sind als die Festtage all die Jahre zuvor, und diese Veränderungen sind schmerzhaft: Kein Krippenspiel mit den Kindern in festlich geschmückten Kirchen, keine gemeinsam gesungenen Lieder von „Macht hoch die Tür“ bis „O du fröhliche“, kein Beisammensein im größeren Kreis mit Familie und Freunden, im Vorfeld schon keine Weihnachtsfeiern, keine Treffen an Glühweinständen und Christschmuckständen und auch sonst alle Vorbereitungen und Besorgungen so ganz anders, als es uns lieb und vertraut ist. Eine wirklich „stille Nacht“, aber damit auch eine „heilige Nacht“?

 

„Was wird aus Weihnachten?“ – So lauten die Schlagzeilen in den Zeitungen und auch die Fragen in unseren Köpfen und Herzen. Aber Gott sei Dank: Auch wenn die Adventszeit und unsere Festtage ohne ihr „normales“ Gepräge sind, Weihnachten findet trotzdem statt. Gott wird Mensch in seinem Sohn Jesus Christus und kommt uns Menschen ganz nahe. Das gilt – auch in diesem Jahr, auch unter Corona-Bedingungen. Dadurch lässt Gott sich nicht abhalten und wir können seine frohe Botschaft trotzdem hören und annehmen, diese alte vertraute Geschichte, die erzählt, wie sich Josef und Maria aufmachen, Unterkunft nur in einem Stall finden. Wie das Jesuskind dort zur Welt kommt, begrüßt von Hirten auf dem Felde, die die Engelsbotschaft hören: „Euch ist heute der Heiland geboren!“

 

Dabei ist es übrigens gar nicht neu, dass Weihnachten in Frage gestellt wird, nicht nur in der Art und Weise, wie das Fest gefeiert werden kann, sondern auch ganz grundsätzlich. Da heißt es dann: Kann das denn überhaupt sein? Wie können wir das glauben? Wie konnte das damals geschehen? Und für viele der so Fragenden steht die Antwort schon längst fest: Das kann nicht sein. Das gibt es nicht. Das geht nicht.

 

Solche Anfragen finden sich durch alle Jahrhunderte hindurch bis hin in unsere Zeit. Immer wieder hat es Versuche gegeben, so zu tun, so zu leben, als ob es diese alte Geschichte keine Gültigkeit hätte oder es sie gar nicht gäbe. Schon in biblischen Zeiten hat der Apostel Paulus davon geschrieben, dass die Botschaft Jesu Christi für viele ein Ärgernis war, das man doch loswerden müsse, eine Torheit, die man doch so nicht glauben könne.

 

Das geht bis heute so, dass wir uns mit Weihnachten schwer tun – nicht mit den geschmückten Bäumen und Geschenken, nicht mit Festessen und Lichterglanz, aber doch mit dieser Verheißung Gottes, dass er uns Menschen ganz nahe kommt. Das stellen wir bis heute immer wieder in Frage.

 

Dabei denke ich jetzt nicht an all die, die nicht vom Christentum geprägt sind, die hier nicht ihre Glaubensheimat gefunden haben und die darum auch mit diesem Fest, mit dieser Botschaft nichts verbinden und bestenfalls Fragen stellen. – Das wäre noch einmal ein Thema für sich. Nein, ich denke eher daran, wie wir ganz leicht in Versuchung geraten, diese alte Geschichte Gottes so in unsere Welt, in unsere Vorstellungen von Welt und Leben einzuordnen, dass vom göttlichen Wunder, vom Hereinbrechen Gottes in unsere Welt nichts mehr übrig bleibt und dass es Weihnachten in seinem Kern nicht mehr gibt. Und wie wir letztlich damit all das, was Gott uns hier zusagt, in Frage stellen.

 

Wenn uns heute eine Situation wie das Weihnachtsgeschehen begegnen würde, wir würden doch sofort versuchen, alles auf die vermeintlich „richtigen“ Wege zu bringen. Sozusagen passend zu machen für uns, für unsere Zeit, unsere Gesellschaft mit ihren Regeln und Gesetzen: Eine minderjährige Mutter? Maria käme in eine Einrichtung für jugendliche Mütter und müsste vielleicht auch noch mit einer Anklage gemäß Jugendstrafrecht rechnen. Schwanger durch den Heiligen Geist? Wenn sie das dann noch angäbe, wäre wohl eine Einweisung in die Kinder- und Jugendpsychiatrie der nächste Schritt. Josef aus Galiläa? Er müsste sich verantworten wegen seines Umgangs mit einer Minderjährigen. Die Hirten? Wenn sie von der Engelsbotschaft erzählen würden, sie würden sofort einem Drogentest unterzogen. Und die drei Weisen, die Könige aus dem Morgenland? Sie müssten als erstes einen Asylantrag stellen – der vermutlich abgelehnt würde. Und wenn wir all das so auf den Weg gebracht hätten, dann hätten wir gewiss nicht gehört: „Euch ist heute der Heiland geboren!“ Wir würden allenfalls selber singen: „Es gibt viel Elend in der Welt. Aber wir haben alles gut geordnet!“

 

Damit hier kein Missverständnis aufkommt: Unsere Gesellschaft mit ihren Regeln ist wertvoll und wichtig. Wir können wir kaum hoch genug schätzen, in einem Rechtsstaat zu leben, in dem das Zusammenleben funktioniert, in dem nachgeschaut und geholfen wird, in dem es Einrichtungen und Institutionen gibt, die sich kümmern und helfen, in dem nicht jede und jeder einfach sich selbst überlassen bleibt. – Dass gerade Deutschland das Sehnsuchtsziel von Millionen von Menschen ist, die teilweise ihr Leben aufs Spiel setzen, um hier anzukommen, hier leben zu können, zeigt das noch einmal eindringlich von ganz anderer Seite.

 

Nur wenn wir versuchen, die Weihnachtsgeschichte so in unsere geregelte moderne und aufgeklärte Welt einzupassen, in unsere vertrauten und bewährten Abläufe und Gesetze einzuordnen, dann wäre zwar alles nach unseren Vorstellungen geordnet, könnte wieder „normal“ werden, aber es bliebe doch kein Raum mehr für das göttliche Wunder, für die göttliche Botschaft. Wir würden das Wesentliche verpassen und übersehen, denn Weihnachten lässt sich so in seinem Kern nicht verstehen. So hat Gott Weihnachten nicht gemeint. So kann uns das Wunder von Weihnachten nicht ergreifen.

 

Das Fest mit seiner Botschaft passt sich nicht einfach nahtlos ein in unsere Vorstellungen vom Leben. Ohne dass wir etwas ändern, dass wir uns ändern lassen, passt es nicht hinein in unseren vertrauten Alltag mit seinen Regeln und Ordnungen. Gott kommt in seinem Sohn Jesus Christus in unsere Welt hinein, aber er ändert sie auch. Und so, wie Gott anders ist, ermutigt er und uns zu einem anderen Leben, einem Leben, das von Vertrauen und Nächstenliebe geprägt ist.

 

Darum noch einmal die Eingangsfrage: „Was wird aus Weihnachten?“ In unserer Corona-Situation, aber auch ganz grundlegend: Was wird aus dem Fest, auch dann – gerade auch dann, wenn es in Frage gestellt ist, sei es durch ein Virus, sei es durch uns selber? – Ich bin gewiss: Es findet trotzdem statt, dieses Fest des Lebens, in dem Gott uns seine Liebe zeigt und uns erkennen lässt, wie sehr er uns zugewandt ist, wie sehr er uns liebt. So sehr, dass er in der Weihnacht als kleines Menschenkind zur Welt kommt. So sehr, dass er uns nicht uns selbst überlässt, sondern zu uns kommt, einer von uns wird.

 

Das können wir auch in diesem Jahr wieder hören und lesen – diese alte vertraute Geschichte von der Geburt Jesu. Diese Erzählung gehört so zu Weihnachten, wie dieses Fest in unser Leben hinein gehört, wie Gottes Liebe in unser Leben hinein gehört. Gott sei Dank!

 

Dass Sie und Ihre Lieben das auch in diesem Jahr so an den Weihnachtstagen spüren und sich so von Gott ergreifen lassen, wünsche ich Ihnen von Herzen!

 

Ihr

Christof Grote

Superintendent

des Evangelischen Kirchenkreises Lüdenscheid-Plettenberg

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